die kleinschriftbewegung

typographische mitteilungen, zeitschrift des bildungsverbandes der deutschen buchdrucker, berlin, 28. jahrgang, mai 1931, seite 144
jost stübi, luzern

die kleinschriftbewegung in der schweiz

den besonderen zielen des deutschschweizerischen sprachvereins, eines parallelgebildes zum deutschen sprachverein, zur aufrechterhaltung der bestehenden rechtschreibung treu ergeben ist der korrektorenverein zürich, währenddem man in buchindustriekreisen speziell in bezug auf die kleinschreibung geteilter meinung ist; die handsetzersparte kann und will eine deutliche richtung für kleinschreibung nicht verleugnen . diesen körperschaften steht der bund für vereinfachte rechtschreibung mit dem sitz in aarau gegenüber; seine bestrebungen gipfeln im ruf nach einer allgemeinen vereinfachung der deutschen rechtschreibung zur entlastung der schule, im besonderen aber in der einschränkung der anwendung der großbuchstaben auf satzanfänge und namen . ein deutlich ausgeprägter drang nach einer rechtschreibungsreforrn macht sich auch geltend im schweizerischen lehrerverein, dessen strömung speziell genährt wird vom lehrkörper der unteren und mittleren volksschulen .

es drängt sich die frage auf : wohin steuert die schweiz mit ihrer rechtschreibung ? die antwort darauf gibt die »schweizerische lehrerzeitung« vom 26. juli 1930 in nachstehenden schlußfolgerungen, die das ergebnis einer untersuchung zur frage der rechtschreibung in der unterstufe der volksschule sind . es heißt in diesem aufsatz: »ein bemerkenswerter bruchteil der diktat- und aufsatzfehler ist auf die mängel der deutschen rechtschreibung zurückzuführen. unsere bemühungen um den rechtschreibunterricht schließen das recht und die pflicht zur reform der forderung der deutschen rechtschreibung in sich ... bis die vereinfachung durchgeführt und amtlich genehmigt ist, bleibt uns (neben dem kampf für die vereinfachung) die möglichkeit, die schüler unserer schule mit der peinlichen befolgung von widersinnigen oder nicht leicht verständlichen rechtschreibvorschriften zu verschonen ... es empfiehlt sich, der frage der groß- und kleinbuchstaben keine allzu große bedeutung beizumessen . der lehrer wird die hauptwörter einstweilen großschreiben, aber von den schülern nicht eine genaue innehaltung der dudenschen regeln verlangen ... indem wir die forderung erheben, die lehrerschaft, namentlich die der unterstufe, möchte die schüler von den bindungen der amtlichen rechtschreibung etwas befreien, möchten wir durchaus nicht völlig ungeordneten verhältnissen das wort reden .«

man muß allerdings sagen, daß die schweizerischen lehrer bei dieser schlußfolgerung der lehrerzeitung dennoch in ungeordnete rechtschreibverhältnisse hineinrennen . selbst die anhänger der kleinschreibung werden solch eigenwilliges vorgehen der lehrerchaft kaum befürworten können . in der schweiz würde man es sicher begrüßen, wenn der bildungsverband der deutschen buchdrucker aus der bisher geübten reserve heraustritt und die entwicklung zu beschleunigen versucht, damit eine reform der rechtschreibung im sinne der bestrebungen des bundes für vereinfachte rechtschreibung amtlich geltung erlangt . daß in solchen kulturfragen der deutsche amtsschimmel mit leise-langsamen schritten vorwärts geht, wissen wir von früher her . wie die gegner der reform urteilen, beweist eine längere abhandlung in der »helvetischen typographia« vom 1. november 1929, gezeichnet von j. keller, zürich . in diesem aufsatz heißt es unter anderm : »weil es in deutschland nicht ging, weil man sich dort von den reformen nicht überrumpeln ließ, weil sich namentlich das buchdruckgewerbe und der buchhandel aus leichtverständlichen gründen gegen eine weitergehende sprachliche änderung wandten, soll nun unsere kleine schweiz an den kleinschreibungskarren gespannt werden, um die bewegung neuerdings, unter umständen allein, auszulösen .« wir wissen, daß es nicht in der macht unserer schweizerischen verhältnisse liegt, in der reformentwicklung ein bedeutender mitbestimmungsfaktor zu sein; um so mehr sind unser aller augen auf deutschland gerichtet, und besonders auf den bildungsverband der deutschen buchdrucker, der kulturell und bildnerisch schon so großes geschaffen hat, und der es hoffentlich auch schaffen wird, daß die deutsche rechtschreibung aus dem ausschließlich doktrinär-akademischen fahrwasser in vernünftige volkstümliche bahnen gelenkt wird, und zwar je eher, um so besser !