die kleinſchriftbewegung

typographiſche mitteilungen, zeitſchrift des bildungsverbandes der deutſchen buchdrucker, berlin, 26. jahrgang, auguſt 1929, ſeite 184
ekazet

kleinſchreibung und die neue typographie

wenn von manchen kollegen die kleinſchreibung mit der neuen richtung in der typographie in einen topf geworfen wird, ſo iſt das wohl hauptſächlich darauf zurückzuführen, weil das bauhaus als öffentliches inſtitut den mut fand, den ſatz zu proklamieren: »wir ſchreiben alles klein; denn wir ſparen damit zeit. außerdem: warum 2 alfabete, wenn eins daſſelbe erreicht? warum groß ſchreiben, wenn man nicht groß ſprechen kann?«

ſollen wir aber die kleinſchreibung bekämpfen? iſt ſie nicht fortſchrittlich? ſie gewinnt ja auch immer mehr anhänger; eine unſrer ortsgruppen faßte den vielleicht etwas übereilten beſchluß, alle veröffentlichungen nur noch in kleinſchrift vorzunehmen. in der ſchweiz iſt ein bund für die vereinfachung der rechtſchreibung gegründet worden, der für die kleinſchreibung bei behörden und in den druckereien eintritt; ihm gehören eine anzahl lehrervereine und ſogar eine korrektorenvereinigung an. aber in einem kürzlich erſchienenen verſammlungsbericht eines andern ſchweizer korrektorenvereins wird geſagt: »wir verkennen nicht, daß die nurkleinſchreibung anfänglich den unterricht der kinder etwas erleichtert, daß in den geſchäftsbetrieben beſchränkte einſparungen dadurch zu erzielen wären, und daß zur erzielung eigenartiger wirkungen bei kleineren, wenig text beanſpruchenden reklamedruckſachen zu deren anwendung gründe mitſprechen dürften. dem ſtehen aber die bedeutenderen vorteile der großſchreibung der hauptwörter gegenüber. die verwendung der großbuchſtaben erleichtert das leſen, der wert der worte iſt ſofort erkenntlich, ihre betonung wird damit angegeben, ſie erzeugen eine plaſtik des ſatzſinnes, die geſtattet, den inhalt jedes leſeſtückes mit raſchem blick zu erfaſſen ... dem angehenden ſchüler wird das leſen und das erfaſſen des zu leſenden mit der kleinſchreibung erſchwert ... (eingangs las man’s anders! der verfaſſer.) die arbeitserſparnis, die die geſchäftswelt durch den wegfall der umſchaltungen erzielen ſoll, wiegt nicht ſo ſehr wie die erſchwerung, die eine vielheit auf ſich zu nehmen hätte, die ſolchermaßen ihrer hauptmerkmale beraubte ſchrift und namentlich größere druckerzeugniſſe ſtudieren müßte. es iſt aber auch ganz verfehlt, die ſprache und ihre darſtellung, die ſchrift, in den wandel der ſtile miteinbeziehen zu wollen. wie es zu tun die heutige kunſtgewerbliche richtung ſich anſchickt. ſie habe ſich ſtändigeren, geordneten geſetzen der entwicklung zu fügen, die eben möglichſt vielen gliedern einer ſprachgemeinſchaft anzupaſſen ſind. - ſolange nun die für heute gegebene rechtſchreibung noch ſolche mißachtung erfährt, müſſen wir größere reformen, welcher art ſie auch ſeien, nachdrücklich ablehnen.«

das iſt entſchieden männlich geſprochen, wenn auch voller widerſprüche; halten wir dem aber entgegen, was g. b. bedeus in »reform der ſchrift« (hermannſtadt 1913) ſeite 12 ſchreibt: »in der zeit des finſterſten mittelalters, in der zeit des verrohens und des unwiſſens, wie ſie weder früher noch ſpäter je wiederkehrte, griff die unſitte des großſchreibens der hauptwörter um ſich, indem man große ſtaben zunächſt nicht nur am anfang des ſatzes und der namen ſchrieb, ſondern namentlich auch den namen gottes oder des herrn oft durchgängig mit großen ſtaben ſchrieb. das ging dann über auf andre titel und würden, bis man ſchließlich bald jedem hauptwort ſeine untertänigkeit durch großſchreiben bezeigte. (mitunter ſchrieb man übrigens auch mitten im worte einzelne große ſtaben. es herrſchte volles durcheinander.) diefes überbleibſel mittelalterlichen geiſtes wird nun als nationalheiligtum hinzuſtellen geſucht. ja, es heißt, daß dieſe ſchreibung das leſen erleichtere.« und w. porſtmann übeimittelte den zeitgenoſſen in »ſprache und ſchrift« (berlin 1920) ſeite 70 bis 72 folgende ſätze: »das aufgeben der großſtaben bedeutet für die geſamtheit verminderung der zu beherrſchenden ſtaben um die hälfte ... es wird oft als ökonomiſch belanglos hingeſtellt, an dieſem krebsſchaden der ſchrift zu mäkeln. iſt es etwa ökonomiſch gleichgültig, ob der ſchriftſetzer ſich nur mit der hälfte der lettern abzugeben hat, ob der guß der lettern durch die großſtaben belaſtet iſt, ob das letternmetall brachliegt, ob raumerſparnis bei der aufbewahrung der lettern, kürzerer arbeitsweg bei ihrer verwendung und verminderung an aufbewahrungsgerät eintritt, ob ſchließlich bei der korrektur eine ſtändige quelle fehler und koſten bedingt? ... zielarme feingeiſterei tüftelt allerlei vorteile aus, die der großſtabe bringen ſoll. das beſtehende ſoll unter allen umſtänden gerechtfertigt werden, ſelbſt unter verzicht auf jeden großzügigen geſichtspunkt, unter den die ſchrift gebeugt werden könnte...« ſehr zu beachten iſt bei dieſen ausführungen, daß ſie bereits im jahre 1920 gemacht wurden und im verlag des vereins deutſcher ingenieure erſchienen. damals war vom bauhaus noch nicht die rede. als das bauhaus aber 1925 im anhalter anzeiger ſeinen lehrplan als anzeige in kleinſchrift veröffentlichte, war der teufel los. für die art, wie der kampf geführt wurde, nur ein beiſpiel: »... und was ſagt das kuratorium des bauhauſes und der damit verbundenen ſchulen dazu? ſoll die manier des herrn gropius die rechtſchreibung in dieſen ſchulen werden? ich fürchte, daß viele eltern dann bedenklich werden könnten! wird ſich das lehrerkollegium nicht gegen diefe diskreditierung der ſchule auflehnen?« dieſe angriffe waren ſelbſtverſtändlich in der gebräuchlichen weiſe geſchrieben und gedruckt; denn »anordnungen und vorſchriften des ſtaates dürfen nicht mit füßen getreten werden!«

allerdings wurde auch dem bauhäusler moholy-nagy raum gewährt, und zwar in kleinſchreibung; von profeſſor moholy-nagys zeilen nur ein paar ſätze: »die zeit eines jeden iſt heute wertvoll, ebenſo wertvoll material und arbeitskraft. unter den vielen problemen, die den heutigen typographiſchen künſtler beſchäftigen (verhältnis des handſatzes zum maſchinenſatz, das problem des helldunkels, verwendung der typographiſchen zeichen...), iſt mit eines der wichtigſten die frage der einheitsſchrift. ſchon jakob grimm hat alle hauptwörter mit kleinen anfangsbuchſtaben geſchrieben ... der bekannte architekt loos ſchreibt in ſeinen geſammelten aufſätzen: 'dem deutſchen tut ſich eine tiefe kluft zwiſchen dem geſchriebenen wort und der geſprochenen rede auf: man kann keine großen anfangsbuchſtaben ſprechen; jedermann ſpricht, ohne an große anfangsbuchſtaben zu denken. nimmt aber der deutſche die feder zur hand, dann kann er nicht mehr ſchreiben wie er denkt, wie er ſpricht.' ... dieſe vereinfachungen haben praktiſche konſequenzen im bau der ſchreib- und ſetzmaſchinen, erſparnis an typen und umſchaltungen u. a. m. das bauhaus hat ſich mit allen fragen der typographie eingehend beſchäftigt und die für die einheitsſchrift dargelegten gründe als richtig anerkannt und in benutzung genommen.«

inzwiſchen haben dieſe gründe auch andre menſchen »als richtig anerkannt« und die kleinſchreibung »in benutzung genommen«. täglich kommen neue anhänger hinzu. die ſtaatlichen ſtellen werden der entwicklung wieder nachhinken. wir buchdrucker wollen aber mitgehen mit der entwicklung und nicht nachhinken; denn die kleinſchrift iſt eine vereinfachung! vereinfachung und nochmals vereinfachung! an dieſem punkte kommen rechtſchreibung und neue typographie zuſammen.